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Maximilian Harden (* 20. Oktober 1861 in Berlin; † 30. Oktober 1927 in Montana, Schweiz; ursprünglich Felix Ernst Witkowski) war ein deutscher Publizist, Kritiker, Schauspieler und Journalist.

Erwin Friedrich Max Piscator (* 17. Dezember 1893 in Ulm, heute zu Greifenstein (Hessen) gehörig; † 30. März 1966 in Starnberg) war ein deutscher Theaterintendant, Regisseur und Theaterpädagoge. Piscator war ein einflussreicher Avantgardist der Weimarer Republik.

Gustav Ernst Stresemann (* 10. Mai 1878 in Berlin; † 3. Oktober 1929 ebenda) war ein deutscher Politiker und Staatsmann der Weimarer Republik.

Raymond Poincaré (* 20. August 1860 in Bar-le-Duc; † 15. Oktober 1934 in Paris) war ein französischer Politiker in der Dritten Republik (ARD). Er war mehrmals Ministerpräsident und vom 18. Februar 1913 bis 17. Februar 1920 Staatspräsident.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

Maximilian Harden (* 20. Oktober 1861 in Berlin; † 30. Oktober 1927 in Montana, Schweiz; ursprünglich Felix Ernst Witkowski) war ein deutscher Publizist, Kritiker, Schauspieler und Journalist.

#615 Brief an Maximilian Harden

Datierung 1927-07-15
Absendeort Kampen, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief, 4 S., M

[Auskunft BArch: der Brief auf den Seiten 14 ff. liegt nur als Fotokopie vor. Die z. T. schlechte Lesbarkeit ist vorlagebedingt. / einige Buchstaben auch auf BArch-Kopie nicht lesbar]

Provenienz BArch, Berlin, N 1062/107 (Kopie)
Briefkopf -
Poststelle -
Personen Harden, Maximilian
Piscator, Erwin
Harden, Selma
Stresemann, Gustav
Poincaré, Raymond
Horowitz, Maximiliane
Toller, Ernst
Harden, Maximilian
Werke Hoppla, wir leben!

Sehr verehrter Herr Harden,

ich wollte eigentlich erst nach Piscators Antwort schreiben (ich habe ihm nämlich gleich Ihre Vorschläge übermittelt und gebeten, sie ernstlich zu erwägen), aber leider kommt keine Zeile – vielleicht ist er schon verreist.

Ich habe mich so über Ihr Teilnehmen gefreut, wie sorgfältig haben Sie das Manuskript gelesen.

Die beiden Aufsätze schicke ich mit gleicher Post zurück. Die Presse-Hetze nach der Poincaré-Rede war typisch. Die Verantwortungslosigkeit dieser Journaille ist nicht zu [über]bieten. Jeder kleine Diebstahl, der einen [M]enschen geringfügig oder gar nicht schädigt, wird mit Gefängnis bestraft, die Journaille, die im Handumdrehen unermeßlichen Schaden „an Leib und Seele“ anrichtet, brüstet sich in Staats- und Volkes Obhut, und wehe dem, der gegen die Palisaden ihrer „Berufsehre“ sich vorwagt.

Stresemann aus der Nep-Feier zu Ehren der Russischen Revolution gleichsam herauszuschälen und sein Bild von dorther zu fixieren, ist ein prachtvoller Gedanke. (Diesen Abend in dramatischer Szene zu formen, habe ich mir längst vorgenommen – nur das Leben hat eine Unwahrscheinlichkeit und scheinbare Widersinnigkeit, die, in der Kunst nackt reproduziert, als unmöglich, als nicht evident wirkte …)

Nordsee und Luft und Dünen sind herrlich. Jedoch, würde mein Pickel sagen, die Mensch[en] stören die Atmosphäre.

Kriegsflaggen und Kreuzflaggen bedrän[gen] das Meer, selbst die Quallen ziehen sich furch[t]sam zurück, mit Hängebauch und Steifgenick promenieren die künftigen Helden Walhalls, züchtig bekleidet (denn sie haben [es] nötig) am Strande, und daß teutsche Frauen über alles in der Welt gehen, wollen selbst die augenlosen Seetierchen nicht glauben. Venus ist nicht die Schwester dieser verquollenen armen Gestalten. – Die sozusagen neutrale Note geben unsere republiklanischen Streiter. Sie flaggen beileibe nicht schwarzrotgold, man will sich doch nicht gesellschaftsunmöglich machen! So hissen sie denn Flagge[n] irgendwelcher Städte und Provinzen, harmlose in nichts herausfordernde kolorierte Tücher – einerseits sich vom monarchistischen Rummel distanzierend, andererseits gefällig und unauffällig zum Rückzug bereit.

Alles Gute für den Sommer.

Ihrer Gattin, Ihrer Tochter und Ihnen, sehr verehrter Herr Harden, herzliche Grüße

Ihres stets ergebenen

Ernst Toller.

Kampen auf Sylt, 15. Juli 27.

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