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Walter Hasenclever (* 8. Juli 1890 in Aachen; † 21. Juni 1940 in Les Milles bei Aix-en-Provence) war ein expressionistischer deutscher Schriftsteller.

Siegfried Jacobsohn (* 28. Januar 1881 in Berlin; † 3. Dezember 1926 in Berlin) war ein deutscher Journalist und Theaterkritiker jüdischer Abstammung.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

#476 Brief an Betty Frankenstein

Datierung 1926-07-29
Absendeort Sanary-sur-Mer, Frankreich
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief, 6 S., M + Kuvert

Provenienz DLA Marbach, Bestand A:Toller, Zugangsnr. 62.280/1
Briefkopf -
Poststelle 1926-07-31
Personen Frankenstein, Betty
Hasenclever, Marita
Hasenclever, Walter
Jacobsohn, Siegfried
Toller, Ernst
Frankenstein, Betty
Werke Berlin 1919

Liebe Betty,

es gibt, werden Sie denken, der Ausreden viele, eine trägt den Namen „le travail“. Sie müssen nicht immer denken, daß ein Telegramm verbirgt, was ein Brief in wohlgesetzten oder hingehauenen Sätzen nicht verbergen könnte.

Was nun die Arbeit anbetrifft, so stimmt das wirklich – zum Teil. Die kleine Einschränkung müssen Sie mir erlauben, denn ich ahne nicht (oder nur trübe) was da bei herauskommt. Es existieren vom Stück wohl an die fünfzehn Szenen, aber ob ich packe was ich möchte – wissen nicht mal die Götter, die es mit diesem Lande herrlich meinen. Sonne, Sonne jeden Tag, und wenn der berühmte Zeigefinger dem Himmel droht, er möge nicht gar so heiß lasten, kommt für vier, fünf Tage flugs der Mistral, fegt, stürmt, peitscht über Meer und verzeihenden Gemüts söhnen sie sich mit dem alten Wettermacher da oben aus.

Mein kleines Haus wollte keiner der trauten Landsleute, bevor ich umzog, mieten, jetzt halten sies für das Paradies der Paradiese, und ich bin versucht, morgens und abends Stoßgebete zu seufzen: Halt fern den X, halt fern den U.

Auch muß gebeichtet werden, daß –

welche Augen –

Ihre Pupille wird groß

wie

ein

Sch

eu

nen

t

o

r.

Nein, auch auf diesem

Blatt

erfahren Sies

noch

nicht –

daß ich

nicht

–––––––––––

(aber jetzt!!)

allein hause.

Zwei der vier Zimmer bewohnt Marita Hasenclever, die Schwester Walter Hasenclevers, die sonst bei ihrem Bruder in Paris wohnt und seine technischen Dinge verwaltet. Die Berliner, die unser Haus besuchen, gucken in alle Ecken (man könnte auch sagen: unter alle Bettdecken), zwinkern und blinkern, meinen, na unbedingt, und verkünden sicherlich den aufhorchenden Freunden mit Freuden geglaubte Schauer- oder vielmehr Luft-Mären.

Wir halten uns zusammen eine Köchin, die uns das Notwendige im 25 Minuten entfernten Sanary besorgt. Die Preise sind für deutsche Verhältnisse lächerlich. Erinnern Sie sich, daß S. J. 600 M den Monat wollte? Die Villa hier kostet 80 M. „Alles in allem“ der Tag ungefähr 6 M. Und man lebt in köstlicher Stille. Nicht mal die Autos der großen Karawanenstraße Marseille – Monte Carlo hört man. Und – sogar ein Stückchen Wald gehört mit zum Haus.

Wie wärs, wenn Sie sich im August für ein paar Wochen hierher aufmachten? Schütteln Sie nicht Kopf – telegraphieren Sie Ihre Ankunft, und ich hole Sie von Marseille – denken Sie doch, Marseille!! – ab. –

Dank für Zeitungen, Briefe.

Leben Sie wohl für heute, Liebe. Werden Sie nicht rot, wenn ich mit einem zärtlichen Gedanken mich verabschiede!

Ihr E. T.

Sanary

29. Juli 26.

(Siehe Zettel: Antworten [unleserlich])