Erwin Friedrich Max Piscator (* 17. Dezember 1893 in Ulm, heute zu Greifenstein (Hessen) gehörig; † 30. März 1966 in Starnberg) war ein deutscher Theaterintendant, Regisseur und Theaterpädagoge. Piscator war ein einflussreicher Avantgardist der Weimarer Republik.
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Jakob Wassermann (* 10. März 1873 in Fürth; † 1. Januar 1934 in Altaussee) war ein deutsch-jüdischer Schriftsteller.
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Honoré de Balzac [ɔnɔ'ʁe də balˈzak] (* 20. Mai 1799 in Tours; † 18. August 1850 in Paris) war ein französischer Schriftsteller.
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Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.
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#473 Brief an Betty Frankenstein
Datierung | *1926-06-28 |
Absendeort | Paris, Frankreich |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief, 2 S., M + Kuvert auf der Rückseite des Kuverts befinden sich zwei Rechnungen |
Provenienz | DLA Marbach, Bestand A:Toller, Zugangsnr. 62.199/11 |
Briefkopf | Trianon Palace Hotel, Paris |
Poststelle | 1926-6-28 Paris - 25 |
Personen |
Frankenstein, Betty
Piscator, Erwin Wassermann, Jakob Balzac, Honoré de Toller, Ernst Frankenstein, Betty |
Liebe Betty,
ich sitze (na, sitzen kann man wohl kaum sagen!) noch immer in Paris, da ich auf Piscator warte. Der soll nun endlich in den nächsten Tagen eintreffen. Ich will mich mit ihm über den Ort des Wochenbetts einigen, und dann verdrück ich mich. – Auch dem heiligen Geist scheint es mit den Menschenflöhen endlich zu dumm zu werden, da er aber ein großer Pädagoge ist, bestraft er sie fürs erste mit unsommerlichem Sommer, läßt die Sonne andere Planeten bescheinen und jagt abends Frostengel (strengen Sie bitte Ihre Phantasie an) über Paris.
In London sah ich Engländer, in Moskau Russen, hier alle möglichen Völker. Novitäten und Raritäten, nur keine Franzosen. Wenn ich mal einen Pariser kennen lerne, glaube ichs ihm nicht und hätte gute Lust ihn nach seinem Taufschein zu fragen. Ekelhaft wie die Valutahyänen diese Stadt verpesten. Englisch, berlinerisch und sächsisch, Sie werden damit geduscht, wohin Sie auch fliehen.
Die Maisons de rendezvous (ein zarter Ausdruck für ein unzartes Haus) werden, wie mir ein deutscher Freund berichtet, in der Regel von Ehepaaren des Berliner Westens besucht. Gemeinsam, versteht sich. „Man muß das mal jesehn haben.“ Moskau und Paris – ein Abgrund.
Dieses Europa ist überreif.
– Ich finde Ihren Brief, liebe Freundin, (werden Sie mir nur nicht rot) hunderttausendmal schöner als Herrn Wassermanns Laudin. Seichtes Geplätscher in tiefen Wassern. Man kanns auch umkehren: Tiefes Geplätscher in seichten Wassern.
Die Form darf nicht täuschen. Er setzt an, ha, jetzt wird er rücksichtslosen Sprung tun – verbindliche Wendung, bürgerlicher Kotau. Lesen Sie dagegen mal Balzac. Auch vor der Ehe beweist sich die Macht von Trägheit und Interesse gegenüber der „Moral“. Ich weiß auch einiges von proletarischen Ehen – der Himmel hat wahrlich nicht dieses Institut erfunden. Grüßen Sie den Pechnelkenbusch. Erholen Sie sich weiter gut.
Ihr
E. T.