#430 Brief an Volksbühne Berlin
Datierung | 1925-12-24 |
Absendeort | Berlin, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief, 2 S., T Abschrift |
Provenienz | AdK, Berlin, Alfred-Kerr-Archiv, Nr. 363 AdK, Berlin, Ernst-Toller-Archiv, Nr. 219 (Kopie) |
Briefkopf | - |
Personen |
Volksbühne Berlin
Neft, Heinrich Toller, Ernst |
Institutionen | Volksbühne Berlin |
Werke | Die Wandlung |
Ernst Toller
Abschrift!
Charlottenburg 2, den 24. XII. 1925
Uhlandstr. 197
An die
Direktion der „Volksbühne“,
Berlin O.25
Bülowplatz 2/3
Ich bestätige folgendes Übereinkommen:
Der Vertrag mit der Volksbühne über die Aufführung der „Wandlung“ wird dahin abgeändert, dass als nächster Aufführungstermin der 20. März 1926 festgesetzt wird. Sollte die Volksbühne nicht imstande sein, bis zum 20. März die Aufführung herauszubringen, wird als spätester Aufführungstermin der 15. November 1926 gesetzt. Für den Fall, dass die Volksbühne das Drama zwischen dem 20. März und dem Ende der Spielzeit 1925 aufzuführen wünscht, bedarf es der ausdrücklichen Genehmigung des Autors.
Ich habe dieser Verlängerung zugestimmt, nicht etwa, weil ich in irgendeinem Punkte die Begründung der Volksbühne als stichhaltig erachte, sondern weil ich nicht gewillt bin, mit einem Theater wie der Volksbühne, von der die Öffentlichkeit glaubt, dass sie wirklich freiheitlichen Charakter hat, dass ihr das Gebaren der Geschäftstheater fremd ist, mich vor der Öffentlichkeit auseinanderzusetzen und sie zu verklagen. Die Idee der Volksbühne erscheint mir wichtiger als das Versagen des bedeutendsten Theaters des Volksbühnenbundes. Wenn Herr Direktor Neft erklärte, die Direktion könne die „Wandlung“ gegenwärtig nicht spielen, weil „das Stück eine zu starke Tendenz habe“, „das Stück zu radikal sei“, weil „er Angst haben müsse, dass er mit der Aufführung die Mitglieder der Volksbühne weggraule“, so sind das für mich Symptome eines Verfalls des ursprünglichen Volksbühnen-Gedankens. Solche Entgegnungen war ich bisher nur von Geschäftstheatern gewohnt, die die Volksbühne wegen ihrer ängstlichen Rücksichtnahme auf Tagesströmungen nicht scharf genug zu bekämpfen wusste. Herr Direktor Neft erklärte am Telefon ferner, das Stück sei „zu quälend“. Aber abgesehen davon, dass die Direktion dies vor Annahme des Stückes hätte sagen sollen, kann man in bestimmten Bereichen der Kunst den Hörer nicht genug quälen; denn das Erlebnis, aus dem jene Kunst kommt, ist ein Unendliches an Qual. Und wird der Hörer nicht gequält, also die Erinnerung an Erlittenes wachgerufen, bleibt er weiter taub.
Ich musste Herrn Direktor Neft sagen, dass ich frisch-fröhliche Soldatenspiele nicht schreibe, dass er auch bis zur nächsten Spielzeit von mir kein Fridericus-Drama erwarten könne.
Ich weiss nur zu gut, wovor man sich fürchtet. In der „Wandlung“ geht es nicht um abstrakte Dinge, dort werden nicht abstrakte Probleme oder abstrakte Schicksalsabläufe zu zeichnen versucht, dort geht es um Konkretes, um Unmittelbares, das jeden Einzelnen zum Für oder Wider zwingt.
Darum fürchtet man sich.
Die Verhandlung mit der Berliner Volksbühne war für mich die unerfreulichste Theatererfahrung meiner an unerfreulichen Theatererfahrungen nicht armen Praxis.
gez. Ernst Toller