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Nettie Sutro-Katzenstein (* 1. November 1889 in München; † 21. September 1967 in Zürich) war eine Schweizer Historikerin und Flüchtlingshelferin.

Alfred Rotter (* 14. November 1886 als Alfred Schaie in Leipzig; † 5. April 1933 bei Gaflei, Liechtenstein) war ein deutscher Theaterbetreiber der sogenannten Rotter-Bühnen, Regisseur und Produzent.

Fritz Rotter (* 3. September 1888 als Fritz Schaie in Leipzig; † nach Juli 1939) war ein deutscher Theaterbetreiber (der sogenannten Rotter-Bühnen), Regisseur und Produzent.

Zenzl Mühsam, geboren als Kreszentia Elfinger (* 27. Juli 1884 in Haslach, heute Au in der Hallertau; † 10. März 1962 in Ost-Berlin), war beteiligt an den Kämpfen um die Münchner Räterepublik an der Seite ihres Mannes Erich Mühsam.

Erich Kurt Mühsam (6. April 1878 in Berlin – 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg) war ein anarchistischer deutscher Schriftsteller, Publizist und Antimilitarist. Am 10. Juli 1934 von der SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet.

Ernst Niekisch (* 23. Mai 1889 in Trebnitz; † 23. Mai 1967 in West-Berlin) war ein deutscher Politiker und politischer Schriftsteller.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

Nettie Sutro-Katzenstein (* 1. November 1889 in München; † 21. September 1967 in Zürich) war eine Schweizer Historikerin und Flüchtlingshelferin.

#378 Brief an Nettie Katzenstein

Datierung 1924-07-11
Absendeort Niederschönenfeld, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief, 3 S., T (Abschrift)

Provenienz StA M, Bestand Polizeidirektion München
Briefkopf -
Publikationsort D: Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 412f.).

Es handelt sich um eine stark gekürzte und umformulierte Variante der Protokollabschrift.
Poststelle -
Personen Katzenstein, Nettie
Hepner, ?
Rotter, Alfred
Rotter, Fritz
Mühsam, Zenzl
Mühsam, Erich
Hartig, Valentin
Niekisch, Ernst
Toller, Ida
Toller, Ernst
Katzenstein, Nettie
Institutionen Lessingtheater (Berlin)
Bayerisches Justizministerium
Drei Masken Verlag
Werke Der deutsche Hinkemann

Direktion

der Gefangenenanstalt und der Festungshaftanstalt.

Niederschönenfeld, den 12. 7. 1924.

An das Staatsministerium der Justiz

in München .

Betreff:

Tollers Pläne nach der Entlassung.

Abschrift.

Staatskommissariat München

zu Händen des Herrn Regierungsrat

Dr. Hepner .

I.

Die „National Zeitung“ Berlin vom 2.7.1924 schreibt:

Ernst Toller wird Mitte ds. Mts. aus der Festungshaftanstalt Niederschönenfeld entlassen werden. Von dem mehrfach erörterten Plan, ihn dann in Schutzhaft zu nehmen, ist man abgekommen. Toller wird sich zunächst kurze Zeit in Berlin aufhalten und die Direktion Rotter plant aus diesem Anlaß Aufführungen seines Dramas „Hinkemann“ im Lessing-Theater;

II.

Toller schreibt an seine Herzensfreundin Frau Nettie Katzenstein aus Ascona in Zürich Steinwiesstraße 4 folgenden Brief:

Liebste Freunde!

am Gitterfenster stehe ich und faß und faß es nicht, daß in fünf Tagen nicht mehr Gitterstäbe sich meinen Augen einkerben. Die Sinne sind gespannt, die feinsten Regungen aber vibrierend vor Scheu. Wen werde ich finden und wen wieder-finden?

Wer bist Du und wer bin ich? Wohin lebtest du, und wohin lebte ich?

Viele Menschen erwarten mich in Zuneigung, in Freundschaft, in Liebe, Hunderte von Briefen sagtens mir.

Aber bin ich es, dem sie sich zuneigen, bin ich es, dem sie Freund sind, bin ich es, den sie lieben?

Haben sie sich nicht eine Wunschgestalt ihres sehnsüchtigen Träumens gebaut?

Wer wird mich verlieren beim ersten Händedruck?

Und die Menschen auf die ich warte. Wenn auch sie Wunschgestalten wären?

Wen werde ich verlieren beim ersten Händedruck?

Habt ihr meine Jubelkarte bekommen als Frau Mühsam ihrem Mann die Nachricht aus dem Justizministerium brachte in ein bis sechs Monaten würden alle entlassen? Inzwischen sieht es wieder trüber aus. Das verpflichtet. –

Wenn Ihr deutsche Zeitungen laset, laset Ihr wohl: E. T. wird … E. T. wird … E. T. wird … Glaubt, bitte nichts! Daß die Nachricht von meiner Entlassung nicht stimmt, habt Ihr Euch sicher gedacht. Ich wandere am 16. Wenn nicht – Nachmittags komme ich in Plauen an. Dort erwartet mich mein alter Zellennachbar und Freund Valentin Hartig . Abends schaue ich mir, ohne das irgend jemand davon erfährt, eine Hinkemannaufführung an. (Ich denke nur mit Furcht, ja schaudernd, voll Widerwillen, voll Scham an die erste Begegnung mit einem Werk von mir auf der Bühne). – Am nächsten Tag früh nach Leipzig. Konsultation des Augenarztes, Besuch der Proben zur „Wandlung“ und zum Massenfestspiel. Am 2. Tag fahre ich nach Berlin. Konsultationen, Besuch bei Niekisch, bei Frau Mühsam. Verhandlungen mit Kiepenheuer, Drei Masken usw. Am 19. abends vielleicht Besuch einer Aufführung im Lessing-Theater. (Die Notiz, daß ich zugesagt, war Schwindel. Erst heute erfuhr ich durch ein Telegramm des Regisseurs, daß Aufführungen stattfinden). Spätestens am 20. zu meiner Mutter. Ende Juli nach Leipzig zu ein paar Proben. Zurück zur Mutter. Im September zu Euch. Darüber hinaus habe ich keine Pläne. Ich bin für den Herbst nach London eingeladen, ich verschiebe alle Eingänger-Reisen bis zum Frühjahr 1925. Mein Weg bis zum September ist nur ein Umweg zu Euch.

Lebt wohl liebste Freunde. Wenn die Hoffnung des 16. sich nicht erfüllt, tragt es nicht schwer. Ich zwinge auch die Monate.

Euer

Ernst.

Festung Niederschönenfeld, den 11. 7. 1924.

–––

Die Bemerkung im Briefe über die trüberen Aussichten für die Amnestie „Das verpflichtet“ kann nur so verstanden werden, daß Toller sich der Hetze für Freilassung seiner Haftgenossen zu widmen gedenkt.

Der Plan der Reise über Plauen, Leipzig und Berlin zu seiner Mutter nach Landsberg a/W. stimmt genau mit dem überein, was Toller vor ein paar Tagen mit dem früheren Festungsgefangenen Hartig in Leipzig vereinbart hat. Vergleiche meinen Bericht vom 8. ds. Mts.

Hoffmann

Oberregierungsrat, Vorstand.