Weitere Briefe
1,665 Briefe gefunden

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

#349 Brief an [unbekannt]

Datierung 1924-01-28
Absendeort Niederschönenfeld, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief

Provenienz Original nicht ermittelt.
Briefkopf -
Publikationsort Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 399f.).
Personen [unbekannt]
[unbekannt]
Toller, Ernst
Werke Die Maschinenstürmer

28.1.24

An einen polnischen Übersetzer.

Zu Ihrem Wunsch, für die polnische Ausgabe der „Maschinenstürmer“ ein Vorwort zu schreiben, erlauben Sie mir einige grundsätzliche Bemerkungen. Ich schätze Vorreden des Autors nicht, halte sie in den meisten Fällen, sofern es sich nicht um die Analyse formaler Probleme oder um die Behandlung von Fragen handelt, die mit dem Thema nicht unmittelbar im Zusammenhang stehen, für verfehlt. In den Stunden (Tagen, Monaten, Jahren) des Schaffens am Werk umfaßt der Autor die Fülle der Probleme, er umfaßt Grundlinien so stark wie Abzweigungen, Bilder so stark wie Nüancen, Zentrales so stark wie Peripheres. Später, im Zustand der Reflexion, tritt er an das Werk heran wie ein Fremder fast: er entdeckt immer nur die Probleme, die ihn gerade in der Zeit des Betrachtens beschäftigen, hält einmal Wesentliches für unwesentlich, dann wieder Unwesentliches für wesentlich. Erklärungen, die ein Autor über sein Werk gibt, sind immer ungenügend. –

Die künstlerische Wirkung erschöpft sich nicht darin, daß sie das Gefühl des Hörers erreicht. Sie vermag latente oder verschüttete Gefühlsströmungen zu erwecken und ihnen bewußte, intellektuelle Rechtfertigung zu geben. Eine Wirkung von außerordentlicher Bedeutsamkeit.

Wie dagegen wirken wissenschaftliche Vorträge, Versammlungsreden, Reportagen und so weiter auf Hörer? Sie erreichen den Intellekt und bestätigen im besten Falle ein schon vorhandenes Gefühl. Es ist, außer bei Kindern, durch Erziehung ein fast unmögliches Beginnen, vom Intellekt her ein neues Gefühl zu schaffen, während es ein Leichtes ist, einem neuen Gefühl die gleichzeitige Verankerung im Intellekt zu geben.

(Für ein Gefühl „weiß“ ich immer Gründe. Gründe sind nicht immer an Gefühle gebunden.)