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Nettie Sutro-Katzenstein (* 1. November 1889 in München; † 21. September 1967 in Zürich) war eine Schweizer Historikerin und Flüchtlingshelferin.

Arthur Holitscher (* 22. August 1869 in Pest; † 14. Oktober 1941 in Genf) war ein Reiseschriftsteller, Essayist, Romancier und Dramatiker.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

Nettie Sutro-Katzenstein (* 1. November 1889 in München; † 21. September 1967 in Zürich) war eine Schweizer Historikerin und Flüchtlingshelferin.

#334 Brief an Nettie Katzenstein

Datierung 1923-12-12
Absendeort Niederschönenfeld, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief

Provenienz Original nicht ermittelt.
Briefkopf -
Publikationsort Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 395f.).
Personen Katzenstein, Nettie
Holitscher, Arthur
Toller, Ernst
Katzenstein, Nettie

12.12.23

An Tessa.

Dreißig Jahre bin ich geworden. Zum letztenmal hast Du mir hierher Deine Geburtstagsgrüße geschickt. Als ob Du wüßtest, wie reizsam der Mensch als Gefangener wird, wie fluchtsüchtig und immer bereit sich zu umpanzern in den Kreisen, in denen er sich frei glaubt. Grobe Berührung, der Schein der Unfreiheit – und er verbirgt sich im Schneckenhaus seiner Einsamkeit. Seine Einsamkeit ist die Insel geworden, auf der er Gemeinsamkeit mit Mensch und Tier und Welt liebend erfuhr.

Ich fürchte mich nicht „vor dem Leben“. Scheu habe ich vor den vielen, die mir, in bester Absicht, neue Gefangenenwärter sein würden. Liebenswürdige Gefangenenwärter. Aber doch Gefangenenwärter.

Du schreibst, neuerdings hättest Du wieder gefunden, daß ich mich einfangen lasse von den Ärgernissen des Tages. Nein, ganz gewiß kann unsere Aufgabe nicht sein, „mitzukeifen“. Aber ebensowenig: zu flüchten. Erst dann würden wir uns aller guten Wirkung begeben. Alles verstehen, nur das Verzeihliche verzeihlich finden, schrieb mir einmal Holitscher. Wer unter Menschen wirkt, muß sich entscheiden. Immer und unbedingt. In jeder Stunde. Verhüllten Antlitzes oft. – Wird „das Böse“ besser, wenn wir es zulassen? Warum „geifern“ die Menschen heute? Aus Freude am Geifern oder aus Not? Haben wir ein Recht, um ästhetischer Schönheit willen von denen zu schweigen, denen kein Gott gab zu sagen, was sie leiden?