Max Beer (geboren am 10. August 1864 als Moses Beer in Tarnobrzeg, Galizien, Kaisertum Österreich; gestorben am 30. April 1943 in London) war ein österreichisch-deutscher Publizist und Historiker.
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Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.
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#311 Brief an Max Beer
Datierung | 1923-07-07 |
Absendeort | Niederschönenfeld, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief |
Provenienz | Original nicht ermittelt. |
Briefkopf | - |
Publikationsort | Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 385f.). |
Personen |
Beer, Max
Toller, Ernst Beer, Max |
7.7.1923
An Max Beer.
Ich habe das Bedürfnis, mit Ihnen über die mannigfachen ernsten Fragen zu sprechen, die Sie und mich bewegen, Sie als leidenschaftlich teilnehmenden Historiker, mich als homo politicus und als Dramatiker.
Ihre fünf Bände der allgemeinen Geschichte sozialer Kämpfe habe ich mit fanatischem Interesse gelesen. Ich muß Ihnen von meinem ersten Eindruck berichten, als ich vier Bände beendet hatte. Ich geriet in einen Zustand eigentümlicher Depression. Was hatte ich gelesen? Eine Geschichte sozialer Kämpfe? Eine Geschichte niedergeschlagener Massenaufstände! Eine Geschichte des unendlichen Leidens jahrtausendewährender Bedrückung und Ausbeutung, eine Geschichte der Empörung gegen unerträgliche Not und der Niederlagen. Keine Revolution, in der die Revolutionäre ihre Ziele verwirklichen konnten. Und die eine, die gesiegt hat, die Revolution des Christentums, siegte, weil sie ihre eigenen Ideen verriet und aus einer staatsfeindlichen, kommunistischen, zu einer staatserhaltenden Macht wurde. Und dieser Eindruck ließ mich wochenlang nicht los.
Erst allmählich wuchs mir wieder die Kraft einzusehen, warum die moderne soziale Bewegung ein anderes Schicksal haben muß. –
Ihr Werk unterscheidet sich bedeutsam von anderen, die entweder das Ökonomische oder das Politische oder das Geistige herausarbeiten, die aber, wenn sie das Eine behandeln, das Andere kaum beachten. Mit welcher Eindringlichkeit, mit welcher bitteren Satire haben Sie etwa bei der Behandlung der Taboriten die Parallele zu dem Kampf der deutschen Revolutionäre gezeigt. Immer wurde der aktive Flügel isoliert und niedergeworfen von jenen, die ihre revolutionären Talente am Sonntag in Festartikeln manifestieren, die sich aber am Alltag verbünden mit der Klasse, die sie zu bekämpfen vorgeben. Immer wurden die Reformen, die die Sonntags-Revolutionäre zu erhalten und auszubeuten bestrebt sind, mit einem Federzug von der Klasse gestrichen, die nur mit Hilfe der Sonntags-Revolutionäre in den Sattel gehoben wurde.
Mit welcher ironischen Eindringlichkeit sehen Sie Wort und Tat der Zweiten Internationale, wie klar das Wesen der deutschen Sozialdemokratie.
Aber eine Frage müssen Sie dem Kameraden gestatten: Warum tun Sie als Parteimann, was Sie als Historiker verwerfen? –
Als ich in Ihrem Briefe las, daß eine amerikanische Professorin an der Columbia-Universität über mein Werk lesen will, bekam ich einen gelinden Schreck. Ich bin doch, zum Teufel, noch nicht alt geworden und glaube immerhin, einiges noch schaffen und sagen zu können.