Franz Gürtner (* 26. August 1881 in Regensburg; † 29. Januar 1941 in Berlin) war ein deutscher Jurist, der von 1932 bis zu seinem Tod 1941 Reichsjustizminister war.
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August Hagemeister (* 5. April 1879 in Detmold; † 16. Januar 1923 in Niederschönenfeld) war ein deutscher Politiker (SPD/USPD/KPD). Er war Abgeordneter des Bayerischen Landtages (1920–1923).
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Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.
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#280 Brief an Franz Gürtner
Datierung | 1923-02-03 |
Absendeort | Niederschönenfeld, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief, 3 S., T Abschrift |
Provenienz | StA Au, Oberstaatsanwaltschaft, OLG Augsburg 1921-1922 und 1923-1924 |
Briefkopf | - |
Publikationsort | Justiz-Erlebnisse (TW, Bd. 3, S. 91f.) |
Personen |
Gürtner, Franz
Steindl, ? Hagemeister, August Renner, Ferdinand Kraus, Hermann Toller, Ernst Gürtner, Franz |
Institutionen |
Bayerisches Justizministerium
Festungshaftanstalt Niederschönenfeld |
Festungshaftanstalt.
Niederschönenfeld, den 3. Februar 1923.
Abschrift!
Für Herrn Oberstaatsanwalt!
An
das Staatsministerium der Justiz
in MÜNCHEN.
Betreff:
Beschwerde des F.-G. Toller gegen die Einstellung des Verfahrens durch den I. Staatsanwalt in Neuburg, gegen Bezirksarzt Dr. Steindl, i. S. Hagemeister.
Festungsgefangener Toller sandte heute folgenden Einschreibebrief an den Herrn Justizminister:
„Festungshaftanstalt Niederschönenfeld, den 3. Februar 1923.
An den Herrn Staatsminister
der Justiz
München
Justizpalast.
Betreff : Beschwerde nach § 370 St. P. O.
Am 18. Januar 1923 stellte ich Antrag auf Strafverfolgung des Bezirksarztes Dr. Steindl auf Grund des § 222 St. G. B. wegen fahrlässiger Verursachung des Todes des Abg. Hagemeister im Amt. Am 24. Januar 1923 stellte der I. Staatsanwalt Renner am Landgerichte Neuburg a./D. das Verfahren ein (siehe beiliegende Abschrift). Auf Grund des § 170, Abs. 1 St. P. O. erhebe ich beim Herrn Staatsminister der Justiz des Freistaates Bayern Beschwerde.
Gründe:
1.) Der nächst vorgesetzte Beamte des I. Staatsanwalts am Landgericht Neuburg ist der Oberstaatsanwalt Kraus am Oberlandesgericht Augsburg. Dieser ist der aufsichtsamtliche Vorgesetzte des Anstaltsarztes und nach § 357, Abs. 2 selbst aus dem gleichen Anlass verantwortlich. Ausserdem war derselbe von Mai bis Oktober 1921 selbst Vorstand in Niederschönenfeld und hat die Einrichtung der nach § 19 der Hausordnung vorgeschriebenen Krankenabteilung unterlassen. Oberstaatsanwalt Kraus am Oberlandesgericht Augsburg kommt deshalb als Beschwerdeinstanz nicht in Betracht.
2.) Die Erforschung des Sachverhalts durch die Staatsanwaltschaft beschränkte sich m. E. ausschließlich auf die Erforschung der zur Entlastung des Beschuldigten dienenden Umstände und die Vernehmung von am Tode mitverantwortlichen Personen. Dem § 158, Abs. 2 St. P. O. wurde hinsichtlich der Erforschung der zur Belastung dienenden Umstände nicht entsprochen; insbesondere wurde keiner der von mir als ‚Beweismittel‘ genannten Augen- und Ohrenzeugen der ( die Krankheit und den Tod ) begleitenden Umstände vernommen. Ich verweise hierbei auf die Eingabe sämtlicher Festungsgefangenen vom 18. Januar 1923 an den Eingaben- und Beschwerdeausschuss des Bayerischen Landtags, deren Abschrift dem Herrn Staatsminister der Justiz zugegangen ist.
3.) Der Obduktionsbericht sagt selbst, dass nur nach der Krankengeschichte die Diagnose auf Rippenfellentzündung richtig gestellt war. Der Obduktionsbericht behauptet nicht, dass Rippenfellentzündung überhaupt gegeben und deshalb die Diagnose Rippenfellentzündung objektiv richtig gestellt war. Im Gegenteil sagt der Bericht nur, dass als einziges Krankheitssymptom und Todesursache objektiv nur ein abnormes Herzleiden festzustellen war. Gerade das Herzleiden aber hat der Beschuldigte ausdrücklich geleugnet. Das amtsärztliche Gutachten wird nicht genannt, auf das sich die Einstellung des Verfahrens stützt. Ausserdem äussert es sich gerade über einen Hauptgrund der Verfehlung nicht, nämlich ob nicht die gesetzlich (§ 19 der Hausordnung vom 16. 8. 1919) vorgeschriebene heilanstaltliche Behandlung bezw. die Dauerbeobachtung in der gesetzlich vorgeschriebenen Krankenabteilung den tödlichen Ausgang habe verhindern bezw. aufhalten können.
4.) Die Gründe der Einstellung des Verfahrens schweigen über die Amtsverletzung des Anstaltsarztes, die Heil- und Aussenbehandlungsvorschriften des § 19 der Hausordnung vom 16. August 1919 durch Nichtbeachtung verletzt und auch dadurch den Tod mitverursacht zu haben.
5.) Ich bin durch die Art des Reates Verletzter im Sinne des § 170, Abs. 1. Das Verhalten des Beschuldigten als Anstaltsarzt, insbesondere die fortdauernden schweren Mängel der ärztlichen Pflege- und Heilorganisation meines Strafvollzugs hindern mich trotz körperlicher Schädigung an der Konsultation des Arztes. Infolgedessen bedeuten für mich die schuldhaften Umstände beim Tode Hagemeisters gegebenenfalls das gleiche Schicksal.
gez. Ernst Toller.“
Hoffmann
Oberregierungsrat, Vorstand.