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Else Lasker-Schüler, eigentlich Elisabeth Lasker-Schüler (geboren am 11. Februar 1869 in Elberfeld; gestorben am 22. Januar 1945 in Jerusalem) war eine bedeutende deutsch-jüdische Dichterin. Sie gilt als herausragende Vertreterin der avantgardistischen Moderne und des Expressionismus in der Literatur.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

Else Lasker-Schüler, eigentlich Elisabeth Lasker-Schüler (geboren am 11. Februar 1869 in Elberfeld; gestorben am 22. Januar 1945 in Jerusalem) war eine bedeutende deutsch-jüdische Dichterin. Sie gilt als herausragende Vertreterin der avantgardistischen Moderne und des Expressionismus in der Literatur.

#267 Brief an Else Lasker-Schüler

Datierung 1922-??-??
Absendeort Niederschönenfeld, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief

Provenienz Original nicht ermittelt.
Briefkopf -
Publikationsort Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 348f.).
Personen Lasker-Schüler, Else
Lasker-Schüler, Paul
Toller, Ida
Toller, Ernst
Lasker-Schüler, Else

An die Dichterin Else Lasker-Schüler, genannt Prinz Jussuf von Theben.

Nein, nein, ich war der Beschenkte! Ich liebe Ihre Verse sehr. Manchmal las ich sie mitgefangenen Kameraden vor, Proletariern, Landarbeitern. Alle waren ergriffen.

Und welche Ehre, daß die Märzblumen, die ich im Gefängnishof fand, im Palais des Prinzen Jussuf von Theben blühen dürfen.

Ich muß Ihnen eine Geschichte erzählen aus der Zeit, als wir noch zur Schule gingen. Sie waren freilich schon bei den ganz Großen, als ich noch auf der Dreikäsehochbank saß. Aber Ihnen war die Schule gewiß so verhaßt wie mir.

Wir hatten eine alte Köchin, die hieß Jule, sie lebte dreißig Jahre in unserer Familie, und als sie im Sterben lag, rief sie immerzu: „Gehn Sie vom Herd weg, Frau Toller, ich machs Essen schon fertig.“

Jule hatte einen Bräutigam. Der lebte in Nirgendwo. Ich nahm mich dieses Bräutigams an, agierte mit selbstgeschriebenen Briefen den Postillon d’amour. Dafür bekam ich von Jule allerlei gute Bissen. Aber bald wurde es mir zu dumm, daß der Bräutigam nur ein Schneidermeister sein sollte. Liebesbote eines Schneidermeisters, ich rümpfte als echtes Bourgeoissöhnchen die Nase. Ich ließ also den Schneidermeister avancieren. Was er alles wurde! Baron, General, Graf, Herzog, Minister, König und endlich Kaiser von Mariko, der im fernen Afrika mächtige Kriege gegen schwarze Wüstenvölker führte.

Unter unserem Haus baute ich einen Bahnhof. Ich brauchte nur ins Schlafzimmer meiner Schwester zu laufen, die Tür hinter mir zuzumachen, dann öffnete sich der Boden. Ein Blitzzug kam und entführte mich nach der kaiserlichen Hauptstadt, wo ich die Grüße der Kaiserin untertänigst darbot. (Jule avancierte natürlich mit). Aber nicht nur Grüße. Seine Majestät, zwischen blutigen Schlachten der Ruhe pflegend, liebte Leckereien. Einmal Mürbekuchen, einmal Eierkuchen, und an allerhöchsten Tagen verspeiste er ganze Sandtorten. Er brauchte wie ein echter Kaiser nur Wünsche zu lispeln, flugs setzte ich ein Telegramm auf (das Formular klaute der Minister in Vaters Kontor).

„An die Kaiserin von Mariko. Der Kaiser grüßt Eure Majestät zuvor. Punkt. Geliebte Juliane, schicke mir eine Sandtorte, gebacken von Deiner süßen Hand. Die Schlacht war heiß, aber mit Gottes Hilfe sind die Heiden besiegt. Noch ist der Krieg nicht zu Ende. Doch ich halte aus. Ich brauche zur Stärkung die Sandtorte. Glühende Küsse. Auf dem Schlachtfeld pflückte ich für Dich einen Strauß Gänseblümchen, die Dir mein Minister bringen wird. Dein Kaiser von Mariko.“

Jule, gerührten Herzens, getraute sich kaum, die Gänseblümchen in die Hand zu nehmen und fragte mich, ob sie das gewöhnliche Wasser wohl vertragen würden und entließ mich. Dann aber krempelte sie ihre Ärmel hoch und buk aus lauter guten Dingen die herrlichste Sandtorte der Welt. Mutter schlug die Hände überm Kopf zusammen, aber in der Küche, da war Jule Herr, und Mutter mußte weichen. Ich bekam die Sandtorte, lud meine Freunde ein, öffnete die Tür zum geheimnisvollen Raum, der Boden öffnete sich, der Blitzzug rollte heran und trug die Sandtorte ihrer Bestimmung entgegen.

Nächstens muß ich Ihnen erzählen, wie ich Jule zum Ritter des Ordens vom Wüstentiger schlug.

Dank für den Glücksstern. Wie geht es Ihrem Jungen? Er war 1918 gerade dabei, wie man mich verhaftete. Ich stand vom Mittagessen auf, öffnete die Tür, da sagten zwei Herren mit Jägerhütchen „Hände hoch“ und bewiesen mir, daß Revolver zu was andrem dienen, als im Schaufenster zu glänzen.