Nettie Sutro-Katzenstein (* 1. November 1889 in München; † 21. September 1967 in Zürich) war eine Schweizer Historikerin und Flüchtlingshelferin.
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Wilhelm Schmidtbonn (* 6. Februar 1876 in Bonn als Wilhelm Schmidt; † 3. Juli 1952 in Bad Godesberg-Rüngsdorf) war ein deutscher Schriftsteller.
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Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.
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#247 Brief an Nettie Katzenstein
Datierung | 1922-10-26 |
Absendeort | Niederschönenfeld, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief |
Provenienz | Original nicht ermittelt. |
Briefkopf | - |
Publikationsort | Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 366f.). |
Poststelle | - |
Personen |
Katzenstein, Nettie
Schmidtbonn, Wilhelm Toller, Ernst Katzenstein, Nettie |
26.10.1922
An Tessa.
Diesmal sollst Du meine Grüße zum Geburtstag nicht vermissen: ich schicke sie Dir im glücklichen Bewußtsein, daß zum vorletzten Mal die Post meine Wünsche bringt. Ganz tief lebe ich dem Gedanken, daß in zwei Jahren bei Dir, bei Euch meine Heimat sein wird, daß uns Stunden kommen voller Reichtum und Melodie.
Ich will nicht flüchten zu Euch vor dem Zerfall dieses Landes, vor dem Betrieb dieser Menschen, deren Geschäftigkeit mich anmutet wie ein boshaftes Spiel von Irren, die einander peinigen, verwunden, erschlagen. Nur eine Zeitlang will ich in Eurer Nähe sein, daß der Mantel Müdigkeit, der mich jetzt umfängt, von mir abfalle.
Denn ich bin müde. Ich habe einen Glauben verloren und bin noch nicht ganz durchdrungen von der großen Kraft, Glauben nicht mehr nötig zu haben.
So nackt Menschen jahrelang sehen müssen, wer ertrüge es, ohne krank zu werden. Es gibt Schöneres auf der Erde als Menschen. Meine Schwalben, die vor einem Monat mich verlassen haben, waren schöner. Und ich fühlte mich ihnen vertrauter und näher als den meisten, die „ein Zwang“ zusammenhält.
Ich schicke Dir ein Märchenbuch, weil das Märchen uns erlöst von dem Fluch, nichts als Mensch sein zu müssen, weil das Märchen verschwistert ist jedem Tier und jeder Blume, jedem Wind und jedem Gewässer. Und weil das Märchen uns zu jener lächelnden Weisheit erzieht, die uns das Auf und Ab der Menschengenerationen schauen läßt, ohne daß wir vor der furchtbaren Sinn- oder Ziellosigkeit, vor dem Nichts zusammenbrechen. Es ist die Weisheit, die erschauern und doch atmen macht.
Das Hundebuch „Flucht zu den Hilflosen“ von Schmidtbonn aber schicke ich Dir, weil ich von einem ähnlichen Buch geträumt habe.