Ernst Niekisch (* 23. Mai 1889 in Trebnitz; † 23. Mai 1967 in West-Berlin) war ein deutscher Politiker und politischer Schriftsteller.
WIKIPEDIA
Ernst Niekisch (* 23. Mai 1889 in Trebnitz; † 23. Mai 1967 in West-Berlin) war ein deutscher Politiker und politischer Schriftsteller.
WIKIPEDIA
Fritz Endres (* 15. Oktober 1877 in Ebenhausen, Unterfranken; † 2. Mai 1963 in München) war ein deutscher Politiker (SPD).
WIKIPEDIA
Fritz Droop (* 1. März 1875 als Friedrich Wilhelm Droop in Minden/Westfalen; † 2. September 1938 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Pädagoge, Journalist und Schriftsteller.
WIKIPEDIA
Hans Unterleitner (* 27. Januar 1890 in Freising; † 30. August 1971 in New York City) war ein deutscher Politiker (USPD, SPD). Der gelernte Schlosser wurde im Zuge der Novemberrevolution in Bayern und der Ausrufung der bayerischen Republik im November 1918 von seinem Schwiegervater Kurt Eisner als Staatsminister für soziale Fürsorge in dessen Kabinett berufen.
WIKIPEDIA
#246 Brief an Ernst Niekisch
Datierung | 1922-10-22 |
Absendeort | Niederschönenfeld, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief, 4 S., T Auszug, Abschrift. |
Provenienz | StA Au, Oberstaatsanwaltschaft, OLG Augsburg 1921-1922 und 1923-1924 |
Briefkopf | - |
Personen |
Niekisch, Ernst
Niekisch, Ernst Hartig, Valentin Endres, Fritz Droop, Fritz Unterleitner, Hans Toller, Ernst |
Institutionen |
Deutsches Theater (Berlin)
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) |
Werke |
Die Wandlung
Masse Mensch Die Maschinenstürmer Der deutsche Hinkemann |
Festungshaftanstalt.
Niederschönenfeld, den 24. Oktober 1922.
Abschrift!
An
das Staatsministerium der Justiz
in MÜNCHEN.
Betreff:
In einem Brief an Niekisch äussert Toller
a) sich über die Verbreitung seiner Werke, bes. im Ausland;
b) das stereotype Einerlei der Haft lähme seine Schaffenskraft;
c) er sei in der Frage des Übertritts zur U. S. P. D. noch unentschieden; er wolle sein Mandat niederlegen; er lasse sich aber auch vielleicht noch „bekehren“!
Heute ging ein Brief Tollers an den sozialistischen Landtagsabgeordneten Niekisch vom 22. ds. Mts. zu, der folgendermassen lautet:
„Mein lieber Niekisch, ich danke Dir herzlich für Dein Interesse an meinen literarischen Arbeiten. Ich gebe dem Arbeiter-Theaterbund gerne die Erlaubnis, meine ‚Maschinenstürmer‘ vortragen zu lassen. Die Verantwortung dem Verlag gegenüber trage ich.
Ich weiss nicht recht, welcher Art die Hinweise oder Anregungen sein sollen, die ich Dir für Deine einführenden Worte geben könnte. Setze Dich doch nicht herab, gerade in literarischen Dingen siehst Du tiefer (wenn auch mitunter einseitiger) als die meisten der Zünftigen. Im Verlag Franz Schneider-Berlin ist (von Fritz Droop) eine Einführung in meine Bühnenwerke erschienen. Wenn Dir mit dem gedient ist? Leider besitze ich hier kein Exemplar. Aber ich könnte eins bestellen.
Erfreulicherweise nehmen meine Wirkungsmöglichkeiten zu. Im Ausland wenigstens. Die deutschen Provinzbühnen boykottieren mich im Grossen und Ganzen. „Maschinenstürmer“ wurden ins Französische, Englische, Polnische, Russische, Ungarische übersetzt. („Masse Mensch“ desgleichen. Ausserdem ins Jiddische. Über Übersetzungen der „Wandlung“ schrieb ich Dir ja.) – Ich bin recht gespannt, wie man in New-York die Aufführung von „Masse Mensch“ aufnehmen wird. Erstaufführung soll im Februar oder März stattfinden – Uraufführung von „Hinkemann“ findet endgiltig im Deutschen Theater-Berlin statt.
Das stereotype Einerlei der Haft lähmt meine Schaffenskraft. Aber ich habe schliesslich nur noch ein dreiviertel Jahr. Und die Monate zerfliessen so rasch. –
Endres habe ich auf seine Anfrage geantwortet:
‚Die besonderen Umstände der Haft machten es mir unmöglich, gegenwärtig meine endgiltige Entscheidung zu fassen.‘ (Sowie das geschehen sei, würde ich ihn unverzüglich in Kenntnis setzen.) Du merkst, ich habe als ‚vernünftiger Mensch und überlegsamer Politiker‘ geantwortet …
Im Vertrauen: ich trage mich mit der Absicht mein Mandat niederzulegen. Ich sehe Wirkungsmöglichkeiten, die mir gemässer sind. Denn die Partei, die mir bliebe …
Mein Blick hat sich zu sehr geschärft, als dass ich mir Illusionen machen könnte. – Ihr mögt hundertmal sagen, ‚Personenpolitik‘. Diese Personen versinnbildlichen Tieferes: Sein, Tendenz, System. Was zur Entscheidung stand war nicht Vereinigung oder Nichtvereinigung, sondern die Grundfrage: Ist in der bürgerlichen Demokratie in einer aussen- und innenpolitisch fixierten Situation als Weg zu erkämpfen, was von der grossen Mehrheit der sozialdemokratischen Arbeiter vor 1914 nicht nur als erlaubter, möglicher, sondern als vorzubereitender Weg angesehen wurde. – Eure Antwort war ein Abschied. Ein Abschied von in den letzten Jahren angeblich angestrebten Zielen. Mit einem Paradoxen gesagt, das der tiefern Bedeutung doch nicht entbehrt: Ihr habt Euch zur Kriegspolitik der M. S. P. bekehrt. Schüttle nur nicht erzürnt den Kopf, ich spreche nicht von subjektiven Vorsätzlichkeiten.
Es ist falsch, ‚Ihr‘ zu sagen, für Dich ist der Schritt hinüber leicht, er liegt auf der Bahn von Dir längst als notwendig erkannter Wegrichtungen. (Wie Deine Vorhersagen sich bestätigen! Fast alle! Und nicht nur in den Bezirken des Parteigetriebes. Der Pessimist behält ja immer leichter recht, als der Optimist. Aber Du besitzest in seltenem Mass die Witterung für die Gesichter der einzelnen Phasen des Zerfalls, z. B. der kulturellen Formen). – Für Dich ist nur eingetroffen, was Du in einer Zeit prophezeitest, in der die „Bonzen“ blosse Andeutungen als Verrat am Banner mit Pauken und Trompeten gebrandmarkt hätten. (Heute werfen sie sich in die gesunde Männerbrust und können doch nicht verbergen, dass, was kam, nicht aus Stärke der Erkenntnis kam, – wie Du sie für Dich in Anspruch nehmen kannst – sondern aus ohnmächtigem Nicht-mehr-ein-und-aus-wissen).
Vielleicht fehlt mir in meiner Abgesperrtheit die Übersicht, die mir die ‚Kraft des Sichbeschränkens‘ gäbe, vielleicht bekehrst Du mich noch – die Zeit wird es lehren. – Deinen Brief an Valtin las ich. O dass Du in den Worten, die mir galten, als ‚Politiker‘ mit Lammblick sprachst! Es hätte des Hinweises auf U. wirklich nicht bedurft. U. hätte vor zweieinhalb Jahren ‚allerlei Erwägungen anstellen‘ sollen. Ich werde die Haftzeit, die mir bleibt, zu ertragen wissen.
Dich bitte ich, diesen Brief als Brief von Freund zu Freund zu betrachten. Wirst Du in der Fraktion gefragt, so sage, dass Du auch nicht mehr weisst, als was aus meinem Schreiben an Endres hervorgehe. Ich will jeden öffentlichen Trara vermeiden. …“
Der Brief lief aus.
Hoffmann
II. Staatsanwalt, Vorstand.
Egt.,
Str.