Nettie Sutro-Katzenstein (* 1. November 1889 in München; † 21. September 1967 in Zürich) war eine Schweizer Historikerin und Flüchtlingshelferin.
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Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.
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#230 Brief an Nettie Katzenstein
Datierung | 1922-08-25 |
Absendeort | Niederschönenfeld, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief |
Provenienz | Original nicht ermittelt. |
Briefkopf | - |
Publikationsort | Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 353). |
Poststelle | - |
Personen |
Katzenstein, Nettie
Cohn, Hertha Cohn, Erich Toller, Ernst Katzenstein, Nettie |
25.8.22
An Tessa.
Gestern kamen meine jungen Schwälbchen ums Leben. Vielleicht sind sie erfroren, vielleicht hat eine fremde Schwalbe sie erdrückt. Die Alten saßen beide abends traurig in stummer Klage, aneinander geschmiegt, auf dem Leitungsdraht. Keines ging ins Nest. Auch mir fehlen die Jungen, auch ich bin traurig um sie. Ihr Zwitschern war Wärme, war Nähe der Welt. Es ist sehr einsam jetzt tagsüber in meiner Zelle. –
Schwester und Schwager haben mich besucht. Wann haben sie mich eigentlich besucht? Ich kann nicht angeben, vor wieviel Wochen oder Tagen. Ein Tag gleicht dem anderen, die Zeit ist tot. Merkwürdig, selbst mein Ich verliert im Selbst-Bewußtsein an Realität.
Jedes Erwachen morgens ist ein Erwachen in Traum-Unwirklichkeit. Vielleicht ist die Natur gütig: nimmt dem Lebensgefühl des Gefangenen die Schärfe der Wirklichkeit. Ein Hindämmern wird das Leben im Gefängnis. Nur manchmal schreckst Du auf: Dann treibt es Dich die Gänge entlang, hin und her, hin und her, hin und her.
„Keine Puppe, es ist nur
eine schöne Kunstfigur.“