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Kurt Tucholsky (* 9. Januar 1890 in Berlin; † 21. Dezember 1935 in Göteborg) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller.

Gustav Klingelhöfer (* 16. Oktober 1888 in Metz; † 16. Januar 1961 in Berlin) war ein deutscher Politiker der SPD.

Kurt Tucholsky (* 9. Januar 1890 in Berlin; † 21. Dezember 1935 in Göteborg) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

#228 Brief an Kurt Tucholsky

Datierung 1922-08-02
Absendeort Niederschönenfeld, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief, 3 S., M

Provenienz DLA Marbach, Bestand A:Tucholsky, Zugangsnr. 86.2224/6
Briefkopf -
Personen Tucholsky, Kurt
Reutershan, Walburga
Justizrat B.
Klingelhöfer, Gustav
Tucholsky, Kurt
Toller, Ernst
Institutionen Festungshaftanstalt Niederschönenfeld

Lieber Herr Doktor Tucholsky

meine Bemühungen sind gescheitert, der Brief der Frau Reutershan sagt Ihnen warum. Ich brauche diesen Brief einer Arbeiterfrau (der – dennoch – jene, die er ergreifen müßte, nicht ergreift) nicht zu „ergänzen“.

Und ähnlich wie es hier ausschaut, schaut es bei den andern Familien aus. Die Arbeiterfrauen haben keine Möglichkeit, ihren meist unterernährten Kindern, mit denen sie, gerade weil der Mann im Gefängnis ist, inniger noch verbunden sind, für die Zeit ihres Aufenthalts im Sanatorium Unterkommen zu verschaffen.

Und dann beachten Sie bitte eines: die Frauen haben regelrechte Angst vor dem Sanatorium, vor dem Kreis der „Bourgeois“. Es ist die Angst des einfachen Menschen, der es sich nicht anders vorstellen kann, als daß Menschen, die in „feineren“ Lebensformen erzogen sind, ihn das irgendwie fühlen lassen werden, wenn er gegen diese „feineren“ Lebensformen verstößt. – Das Gefühl, sie könnten als Arbeiterfrauen bei Tisch, bei Unterhaltungen durch ihre Art auffallen, oder gar, es würde ihnen Herzensrohheit begegnen, raubt ihnen, glauben sie, die Fähigkeit sich sorglos dem geruhigen Leben einer Kur hinzugeben. Versuche, mit Hilfe der Vernunft die Bedenken zu tilgen, helfen nicht; wie fast immer das Mittel der Einwirkung der Vernunft versagt, wenn „gefühlsmäßige“ Widerstände bestehen.

Ich weiß, mit welch warmer Bereitschaft Sie Mittler sind, darum darf ich zu Ihnen freimütig sprechen. Wäre es nicht möglich, daß Herr Justizrat B., anstelle einer Frau den Freiplatz im Sanatorium zu verschaffen, zwei bedürftigen, kranken Frauen, die Kinder haben, je die Hälfte der hier entstehenden Sanatoriumskosten übermittelte. Die Frauen wären in der Lage, sich und ihren Kindern zu gönnen, was sie sich heute nicht gönnen dürfen, ja, sie würden vielleicht mit ihren Kindern in die Umgegend zu einem Bauern fahren können.

Möchte Herr Justizrat B. in meinem Vorschlag keine Aufdringlichkeit erblicken, die Lage der Familie meiner Genossen zwingt mich zu so freimütigem Vorschlag.

Sollte indessen meine Anregung nicht erfüllbar sein, weil es sich möglicherweise um einen „festen“ Freiplatz handelt, dann bitte ich Sie um freundlichen umgehenden Bescheid. Ich werde dann sofort eine bedürftige, kinderlose Genossin (die Frau des Kameraden Klingelhöfer) ersuchen, sich mit Herrn Justizrat B. in Verbindung zu setzen.

Verfehlen Sie, bitte, nicht, Herrn Justizrat B. meine dankbaren Grüße zu sagen. –

– Sie werden, verehrter Herr Doktor Tucholsky, hier wieder gesehen haben, wie schwer es dem guten Willen zu helfen ist, gegenüber der Arbeiterpsyche das Rechte zu treffen. Und versucht man diese Psyche liebevoll zu begreifen, werden viele Widerstände verständlich.

Nehmen Sie die herzlichsten Grüße

Ihres

Ernst Toller.

Fest Niederschönenfeld,

2 August 22.

Anlage:

Ein Brief von Frau Reutershan.