Weitere Briefe
1,665 Briefe gefunden

Nettie Sutro-Katzenstein (* 1. November 1889 in München; † 21. September 1967 in Zürich) war eine Schweizer Historikerin und Flüchtlingshelferin.

Romain Rolland (* 29. Januar 1866 in Clamecy, Département Nièvre; † 30. Dezember 1944 in Vézelay, Burgund) war ein französischer Schriftsteller, Musikkritiker und Pazifist.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

Nettie Sutro-Katzenstein (* 1. November 1889 in München; † 21. September 1967 in Zürich) war eine Schweizer Historikerin und Flüchtlingshelferin.

#220 Brief an Nettie Katzenstein

Datierung 1922-06-23
Absendeort Niederschönenfeld, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief

Provenienz Original nicht ermittelt.
Briefkopf -
Publikationsort Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 347f.).
Personen Katzenstein, Nettie
Rolland, Romain
Toller, Ernst
Katzenstein, Nettie
Werke Gedichte der Gefangenen

23.6.22

An Tessa.

Ich bin wieder ruhiger – unser wahres Leben ist in den starken und heiteren, den bangen und dumpfen Bereichen der Seele eingebettet, unerreichbar.

Dank, Liebe, für die beiden Rosen: in einer schönen Vase vor mir auf dem Tisch blühen sie. Ich weiß, Du pflücktest sie in Deinem Garten und tauchtest sie behutsam ins frische Wasser.

Aus Paris kam die Nachricht, daß meine Verse im Verlag Les Humbles mit einem Vorwort von Romain Rolland erscheinen sollen. Es wird Dich freuen.

Ich bin nicht allein – immer sind Schwalben um mich. Es ist gut zu wissen, daß nicht alle Bewohner der Zelle gefangen sind. Fröhlich macht dieses Wissen. Eben kam die Schwalbenmutter, sie fütterte die krebsroten, zwitschernden Jungen, „kehrte das Nest aus“, trug die „Häuflein“ im Schnabel davon, flog heim und sitzt nun am Rand des Nestes. Die Jungen sind schon so groß, daß sie nicht mehr unter dem Leib der Mutter sich bergen können. Nun kommt auch der Schwalbenvater: er stopft den Jungen einige Fliegen in die Schnäbel und setzt sich dann auf den Draht der elektrischen Leitung, gerade über meinem Tisch. Ich breite ein Zeitungsblatt aus. „Er“ nimmt gar keine Rücksicht auf meine Papiere und Bücher, der Menschenplunder ist ihm nicht wichtig und keiner Rücksicht wert. Mir schien es, als ob „Er“ der Schwälbin noch einmal zunickte. „Er“ ist voll rührender Fürsorge und Zärtlichkeit, hilfsbereiter und galanter, als Menschenmänner zu sein pflegen.