Carl von Ossietzky (* 3. Oktober 1889 in Hamburg; † 4. Mai 1938 in Berlin) war ein deutscher Journalist, Schriftsteller und Pazifist. Als Herausgeber der Zeitschrift Die Weltbühne wurde er im international aufsehenerregenden Weltbühne-Prozess 1931 wegen Spionage verurteilt, weil seine Zeitschrift auf die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufmerksam gemacht hatte. Ossietzky erhielt 1936 rückwirkend den Friedensnobelpreis für das Jahr 1935.
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Erich Kurt Mühsam (6. April 1878 in Berlin – 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg) war ein anarchistischer deutscher Schriftsteller, Publizist und Antimilitarist. Am 10. Juli 1934 von der SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet.
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Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.
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#1271 Brief an Betty Frankenstein
Datierung | 1934-10-?? |
Absendeort | London, Großbritannien |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief, 8 S., M |
Provenienz | DLA Marbach, Bestand:A Toller, Zugangsnr. 62.280/2 |
Briefkopf | - |
Poststelle | - |
Personen |
Frankenstein, Betty
Cohn, Hertha Cohn, Erich Toller, Heinrich Schönblum, Anne Toller, Ida Genge, ? Philipp, ? Israel, Lotte Hergesell, Philipp Ossietzky, Carl von Landsberg, Alfred Landsberg, Leonie Mendelsohn, Luise Mühsam, Erich Frankenstein, Friedrike Toller, Ernst Frankenstein, Betty |
Institutionen | Erster Allunionskongress der Sowjetschriftsteller |
Liebe gute Betty –
endlich haben Sie für ein paar Wochen das Gefängnis verlassen. Was alles ist in diesen anderthalb Jahren an Schrecklichem geschehen. Als ich Ihnen damals Adjö sagte, hatte ich das bestimmte Gefühl, wir würden uns lange, lange nicht wiedersehen. Aber dass die Dinge diese Wendung nehmen würden, wollte selbst ich mit meinem Pessimismus, dem Sie misstrauten, nicht glauben.
Ich kann und kann es nicht verwinden, dass ich meine Mutter, bevor sie die Augen schloss, nicht noch einmal gesehen habe. Hat sie mir nichts hinterlassen, keinen Brief, kein Wort? Hat man sie drangsaliert in den letzten Monaten? Bitte, schreiben Sie mir alles. – Und Ihre liebe Mutter – Hat sie sehr leiden müssen?
– Ich möchte so viel von Ihnen wissen. Zuerst, wie Ihr Leben in B. verläuft. Waren jemals Haussuchungen bei Ihnen? Wurden Sie vernommen? Wie leben Hertha, Erich, Heinrich, Annchen?
Seinerzeit scheint man Heinrich verfolgt zu haben. Hat das amerik. Telegramm geholfen? Oder wurde der Betrag trotzdem konfisziert? Hat man bei Erich etwas beschlagnahmt? Oder war das G. rechtzeitig überschrieben? Was ist übrigens mit den Bildern und Statuen geschehen? Konnten die gerettet werden? – Einmal schrieben Sie, bei einer Versteigerung hätten Freunde Dinge, die mir lieb waren, erstanden. Was bedeutete dieser Satz? – Ist es wahr, dass Fräulein Genge sich zu einer nichtswürdigen Denunziantin entwickelte? Haben Sie je wieder von L. I. gehört. In Kopenhagen erzählte mir Frau Philipp, sie werde sich nächstens mit einem Balten verheiraten. Herg. habe ich einmal in London gesehen, es war keine glückliche Begegnung. –
Der Verlust materieller Dinge ist ja nichts gegen die Vernichtung, gegen die Qualen so vieler Menschen, die uns lieb und wert waren. Wie hat man den armen Mühsam gequält und ihn am Ende ermordet. Wie quält man den armen Ossietzky. Ich weiss, auch Sie billigen es nicht, dass ich gegen die Bande, die heute D. regiert, weiterkämpfe. Sie müssen es begreifen. Ich werde es weitertun, solange ein Atemzug in mir lebt. –
Was ich in diesen anderthalb Jahren getan, gearbeitet habe, davon werden Sie gehört haben. Auch dass ein paar Monate sehr dunkel und sehr schwer waren. Ich wünschte sie kämen nie wieder, es wäre unerträglich –
Die letzten zwei Monate war ich in U. S. S. R., sah die Ukraine, Georgien, Aserbeidschan, das Schwarze Meer, die Krim, sah den grossartigen Aufbau dieses Landes, und was wichtiger ist, das Heranwachsen neuer starker Menschen. Am Ende wird doch der ganze Faschismus ein historischer Spuk sein. –
Schreiben Sie mir auch, wie es Landsbergs geht. Grüssen Sie Alle aufs herzlichste von mir. – Bald werden Sie Luise sehen. Sie war und bleibt der beste gütigste Mensch.
Leben Sie wohl für heute, liebste Betty. Könnten Sie nicht auf dem Rückweg über Frankreich fahren? Dann würde ich Sie in Marseille oder in Paris treffen.
Ich umarme Sie und gebe Ihnen, auch wenn Sie rot werden, einen Kuss.
Ihr alter
Ernst.
N. W. 3
1 Lambolle Street.