#126 Brief an Hans Vollmann
Datierung | 1921-02-25 |
Absendeort | Niederschönenfeld, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief |
Provenienz | Original nicht ermittelt. |
Briefkopf | - |
Publikationsort | Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 315f.). |
Personen |
Vollmann, Hans
Vollmann, Hans Toller, Ernst |
25.2.1921
An Herrn Festungsvorstand.
Seit sechs Tagen erhalte ich keine Tageszeitungen mehr. Da ich vom „Vorwärts“ einzig die Haus-, Feld- und Gartenbeilage bekomme, empfinde ich derlei wie einen wenig angebrachten Scherz des Herrn Festungszensors. Ich bin, wie jedermann im 20. Jahrhundert, gewohnt, an den Geschehnissen meiner engeren deutschen Heimat, meiner europäischen Heimat, meiner Weltheimat innigen Anteil zu nehmen. Die Zeitung ist Mittler.
Der Herr Festungsvorstand beabsichtigt, uns in Unkenntnis über gewisse politische Geschehnisse zu lassen. Diese Absicht ist durch die Rückkunft des Gefangenen C. aus Passau, der die neuesten Zeitungen gelesen hatte, durchkreuzt. Wir wissen nun, daß Differenzen zwischen München und Berlin bestehen, wir wissen, welcher Art diese Differenzen sind, ja, uns ist sogar die letzte Neuigkeit bekannt, daß ein Wechsel im Justizministerium stattfinden soll.
Angesichts dieser Umstände ersuche ich den Herrn Festungsvorstand dringend um Aushändigung der Zeitungen. Erst jetzt wird die „Unruhe in der Festung“ aufs höchste gesteigert. Tatsächliche Mitteilungen würden jede haltlose Kombination, die durch das Gemisch von Wahrheit und Gerücht entstehen muß, unterbinden. Ich verweise auf die zur Begründung von Disziplinierungen herangezogene Hausordnung, die in ihrem zweiten Absatz lautet: Die Festungshaft ist diejenige Form der Strafhaft, bei der die durch die Strafe gebotenen Eingriffe in die persönliche Freiheit sich auf das geringste Maß beschränken.