Maximilian Harden (* 20. Oktober 1861 in Berlin; † 30. Oktober 1927 in Montana, Schweiz; ursprünglich Felix Ernst Witkowski) war ein deutscher Publizist, Kritiker, Schauspieler und Journalist.
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Gustav Landauer (geboren am 7. April 1870 in Karlsruhe; gestorben am 2. Mai 1919 in München-Stadelheim) war Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einer der wichtigsten Theoretiker und Aktivisten des Anarchismus in Deutschland. Nach Niederschlagung der Münchner Räterepublik wurde er von antirepublikanischen Freikorps-Soldaten in der Haft ermordet.
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William Shakespeare (getauft am 26. April 1564jul. in Stratford-upon-Avon; † 23. Apriljul./ 3. Mai 1616greg. ebenda) war ein englischer Dramatiker, Lyriker und Schauspieler.
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Johann Christian Friedrich Hölderlin (* 20. März 1770 in Lauffen am Neckar, Herzogtum Württemberg; † 7. Juni 1843 in Tübingen, Königreich Württemberg) war ein deutscher Lyriker.
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Walter Whitman (* 31. Mai 1819 in West Hills, Long Island, New York; † 26. März 1892 in Camden, New Jersey) war ein US-amerikanischer Dichter.
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Heinrich Wilhelm August Freiherr von Gagern (* 20. August 1799 in Bayreuth; † 22. Mai 1880 in Darmstadt) war ein liberaler deutscher Politiker.
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Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.
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#110 Brief an Maximilian Harden
Datierung | 1920-??-?? |
Absendeort | Niederschönenfeld, Deutschland |
Verfasser | Toller, Ernst |
Beschreibung | Brief |
Provenienz | Original nicht ermittelt. |
Briefkopf | - |
Publikationsort | Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 294f.). |
Personen |
Harden, Maximilian
Landauer, Gustav Shakespeare, William Hölderlin, Friedrich Whitman, Walt Gagern, Heinrich Freiherr von Toller, Ernst Harden, Maximilian |
Niederschönenfeld 1920
An Maximilian Harden.
In meinem Gefängnis lebt ein Kamerad, der in den letzten Stunden vor Landauers Ermordung sein Gefährte war. Mit Gustav Landauer hat die deutsche Revolution einen ihrer reinsten Menschen, einen ihrer größten Geister verloren. Aber wer kennt heute in Deutschland Gustav Landauers schöpferisches Werk, wer kennt seine Bücher über Shakespeare, Hölderlin, Whitman?
Ein Zeuge, an dessen Glaubwürdigkeit ich nicht zweifle, berichtete mir, daß die letzten Worte Gustav Landauers, die er seinen Folterern, seinen Mördern zurief, lauteten: „Erschlagt mich doch! Daß ihr Menschen seid!“
Und was ist mit den Mördern in der deutschen Republik geschehen? Freiherr von Gagern, der Landauer mit der Reitpeitsche ins Gesicht schlug, ward freigesprochen, der Soldat, der schoß, wegen Diebstahls von Landauers Uhr zu einigen Wochen Gefängnis verurteilt.
Mein Kamerad erzählt:
Es war am Abend des 1. Mai 1919, als im Amtsgerichtsgefängnis in Starnberg, wo die nach dem Einzug der weißen Garden verhafteten Arbeiterräte von Starnberg untergebracht waren, großer Lärm und Spektakel vermuten ließ, daß wieder ein Schwerverbrecher eingeliefert worden sei. Es war dies, wie wir nach einiger Zeit erfahren konnten, unser Genosse Landauer.
Wir wurden nach dem Gefängnis Stadelheim transportiert. Als wir nach Stadelheim kommen, ist der Teufel los. Rufe wie „Den Landauer, den Landauer bringens! Schlagt sie tot, die Hunde!“ wurden laut. Von einer Rotte Soldaten in die Mitte genommen, vorwärts geschoben und gestoßen, kamen wir vor das Aufnahmezimmer.
Hier wurde Landauer ein heftiger Stoß oder Schlag versetzt, daß ihm seine Gläser herunterfielen. Dann ging die Schieberei wieder los. Unsere Personalien wurden nicht aufgenommen, und wir kamen vor die Tür zum Hof des Frauengefängnisses.
Hier wurde Landauer, nachdem er etwas über den verfluchten Militarismus gesagt hatte, von einem Soldaten wieder ein heftiger Schlag mit der Hand ins Gesicht versetzt. Worauf Landauer erklärte, er meine auch den Militarismus der roten Armee. Hier soll ein Offizier gerufen haben: Halt, Landauer wird sofort erschossen!
Ich sah nur, nachdem wir bis in die Mitte des Hofes gedrängt worden waren, wie ein großer, starker Mann unseren Genossen Landauer mit umgekehrter Reitpeitsche ins Gesicht schlug, worauf Landauer mit der Hand vor dem Gesicht stürzte. In diesem Augenblick kam ein Soldat an uns drei Arbeiterräte heran und sagte, wir sollten ihm folgen. Da krachte ein Schuß, dem, als wir durch das Tor von dem kleineren in den größeren Hof gingen, ein zweiter folgte. Ich hörte, wie der Führer der Begleitmannschaft (welcher, nebenbei bemerkt, anständig war) noch sagte: bis hierher hätte er seinen Auftrag erfüllt – nun sei er aber machtlos gewesen.
Wir drei wurden von jenem Soldaten und einem Aufseher durch eine Pforte außen an der Mauer von Stadelheim wieder nach dem Aufnahmezimmer geführt, wo unsere Personalien aufgenommen wurden. Als wir bei dem Gang durch den Neubau durch den kleinen Hof mußten, lag unser armer Genosse Landauer tot in dessen Mitte. Einer der Soldaten sagte: „Da liegt er jetzt, euer Spezi.“