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Ernst Ferdinand Sauerbruch (* 3. Juli 1875 in Barmen; † 2. Juli 1951 in Berlin) war ein deutscher Arzt. Er gilt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Chirurgen des 20. Jahrhunderts.

Kurt Eisner (geboren am 14. Mai 1867 in Berlin; gestorben am 21. Februar 1919 in München), sozialistischer Revolutionär, Journalist und Politiker, vom 8. November 1918 bis zu seiner Ermordung durch Anton Graf von Arco auf Valley Ministerpräsident des Freistaats Bayern.

Anton Graf von Arco auf Valley (* 5. Februar 1897 in St. Martin im Innkreis; † 29. Juni 1945 in Salzburg) war ein deutscher Adliger. Er ermordete am 21. Februar 1919 den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner.

Eugen Leviné (* 10. Mai 1883 in Sankt Petersburg; † 5. Juni 1919 hingerichtet in München) war ein Revolutionär und KPD-Politiker.

Ernst Ferdinand Sauerbruch (* 3. Juli 1875 in Barmen; † 2. Juli 1951 in Berlin) war ein deutscher Arzt. Er gilt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Chirurgen des 20. Jahrhunderts.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

#61 Brief an Ferdinand Sauerbruch

Datierung 1920-01-24
Absendeort Eichstätt, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief, 2 S., T (Abschrift)

Provenienz StA M, Bestand Polizeidirektion München
Briefkopf -
Poststelle -
Personen Sauerbruch, Ferdinand
Eisner, Kurt
Arco auf Valley, Anton Graf von
Leviné, Eugen
Sauerbruch, Ferdinand
Toller, Ernst
Institutionen Justizvollzugsanstalt Eichstätt
Werke Briefe aus dem Gefängnis
Offener Brief an Geheimrat Sauerbruch

Abschrift.

Herr Geheimrat!

Sie haben als Zeuge in der Verhandlung gegen den Grafen Arco trotz besseren Wissens gegen mich den verleumderischen Vorwurf jämmerlicher Furcht erhoben. Sie haben gegenüber den öffentlichen Prozessberichten keine Richtigstellung in dieser Richtung gebracht. Ich erhebe gegen Sie den Vorwurf der bewussten Verleumdung und Ehrabschneidung.

Herr Geheimrat, wenn jemand kein Recht hat, die Tat des Grafen Arco durch die Beschmutzung von politischen Gegnern in ein besseres Licht zu rücken, dann haben Sie kein Recht dazu. Ich muss Sie daran erinnern, dass Sie nach der deutschen Katastrophe Ihre Verantwortung als von der Studentenschaft verehrter Lehrer nicht zur Beruhigung der erschütterten studentischen Kriegsteilnehmer benützt haben, sondern dass gerade Sie es waren, der die Studentenschaft durch seine Reden gegen die Revolution und die revolutionäre Regierung aufpeitschte und gemeinsam mit der Hetzpresse jene Atmosphäre gegen Eisner schaffen half, aus welcher der Mord geboren wurde.

Herr Geheimrat, Sie sprechen von jämmerlicher Furcht. Sie hätten als Professor der medizinischen Wissenschaft den Grafen Arco besser entlastet, wenn Sie Arco aus Ihrer Selbstkritik heraus entlastet hätten.

Sie haben Kurt Eisner gehasst, Sie verleumden Revolutionäre gegen besseres Wissen, weil Sie die proletarische Revolution hassen.

Warum haben Sie nicht mir gegenüber den Vorwurf der Furcht erhoben? Ich erinnere Sie an die Unterredung, die ich am 30. April mit Ihnen hatte. Damals sprachen Sie andere Worte; Lobreden, die mich peinlich berührten.

Warum haben Sie nicht den Vorwurf als Zeuge in meinem Prozess erhoben? Das werktätige Volk, vor dem allein ich mich zu verantworten habe, weiss, dass ich in der Revolution in allen „entscheidenden Momenten“ Verantwortungsfreudigkeit und selbstverständlichen Mut besessen habe.

Hätte das Standgericht (und niemand kann behaupten, dass die Richter des Standgerichts irgend welches Verständnis für unsere Ideen hatten!) auch nur die leiseste Spur von Feigheit in meinem Verhalten entdeckt, würde ich nicht zu Festungshaft verurteilt worden sein. Aber das Gericht hat sich eben auf Grund eidlicher Zeugenaussagen überzeugen müssen, dass ich nicht (wie Sie und Ihre Freunde sagen!): in „sicheren Verstecken“ arbeitete, sondern in allen „entscheidenden Momenten“ der Revolution mit meinem Leben für die sozialistischen Ideen eintrat.

Aber ich habe mich am 1. Mai verborgen?

Fragen Sie die Münchner Betriebsräte, die Ihnen erzählen werden, wie ich mich nicht wie manche Maulhelden von heute verkroch, sondern unter Einsatz meiner ganzen Person, selbst gegen Genossen, mit denen mich die Gemeinsamkeit des Ziels fest verbindet, die Waffenentscheidung des 1. [Mai] bekämpft habe. Übrigens wissen das auch Sie. Ich sollte mich, nach[dem] alle meine Versuche, über die zu sprechen ich nicht die geringste Veranlassung habe, gescheitert waren, in die Hände der entfesselten weissen Soldateska liefern, die jeden Führer ermordeten?

Nur Pharisäer können das verlangen. –

Das Vaterland Arcos freilich, das Vaterland des deutschen Feudalismus und Kapitalismus ist nicht mein Vaterland. Ich kämpfe für ein Vaterland des deutschen werktätigen Volkes, dessen Wesen Ihnen nach Ihrer politischen Grundeinstellung verschlossen ist.

Ernst Toller.

Festungsgefängnis Eichstätt 24.I.20.

Dass das bürgerliche Standgericht trotz eidl. Zeugenaussagen dem ange[klag]ten Proletarier auch ehrlose Gesinnung unterschreiben kann, haben wir im Fall Leviné u. v. a. gesehen.