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Fritz von Unruh (* 10. Mai 1885 in Koblenz; † 28. November 1970 in Diez an der Lahn) war ein deutscher, expressionistischer Schriftsteller, Maler und Redner.

Fritz von Unruh (* 10. Mai 1885 in Koblenz; † 28. November 1970 in Diez an der Lahn) war ein deutscher, expressionistischer Schriftsteller, Maler und Redner.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

#56 Brief an Fritz von Unruh

Datierung 1919-??-??
Absendeort München, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief

Provenienz Original nicht ermittelt.
Briefkopf -
Publikationsort Briefe aus dem Gefängnis (TW, Bd. 3, S. 279).
Personen Unruh, Fritz von
Unruh, Fritz von
Toller, Ernst

Stadelheim 1919

An Fritz von Unruh.

Ich werde mich nie an äußere „Gefangenendemut“ gewöhnen, und ich bin, trotzdem ich oft traurig und verbittert werde, doch froh drum, daß ich mich nicht „gewöhnen“ kann.

Das ist eine der furchtbaren Charakterschwächen der Deutschen: dieses Sichgewöhnen an alle Einrichtungen des Ungeistes, dieses Sichunterordnen unter die Gesetze der Unmenschlichkeit, dieses Sichwohlfühlen in der Knechtschaft, diese Scheu vor der Verantwortung, dieses Nichthören auf den Ruf des eigenen Gewissens. (Machtkult ist das Korrelat des Knechtschaftskults.) Sie haben recht, die Gespenster der Verwesung sind dreister denn je. Ich spüre jeden Tag den Fäulnisgeruch, wenn ich die Zeitungen lese.

Wie wir im Krieg einsam standen, stehen wir heute wieder einsam. Ich täusche mich nicht – vergessen, vergessen, was zwischen Leben und Tod das Herz sprach – vergessen, vergessen die Erkenntnisse, die dem Geist eingebrannt schienen wie magische Wundmale. Unser ist die heilige Pflicht, die einfachen Wahrheiten der Menschlichkeit und des Füreinander des Lebens zu verkünden.

Sie wissen, daß meine Schaffenskraft den Arbeitern gehört, aber indem ich mit ihnen und für sie lebe, lebe ich für die Menschheit, die alle umfaßt. Ich hasse niemanden, wie können wir Menschen hassen, die glauben Treibende zu sein und doch Getriebene sind, Getriebene eines Schicksals, das uns umklammern wird, solange diese Erde atmet.

Glauben Sie mir, es ist schwer, nicht zu hassen – nur das Wissen um den „gezwängten Zwang“ der Menschheit gibt die Erkenntnis und macht uns wissend und weise.