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Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff (* 9. April 1865 in Kruszewnia bei Schwersenz, Provinz Posen; † 20. Dezember 1937 in München) war ein deutscher General und Politiker.

Eugen Leviné (* 10. Mai 1883 in Sankt Petersburg; † 5. Juni 1919 hingerichtet in München) war ein Revolutionär und KPD-Politiker.

Max Levien (* 21. Mai 1885 in Moskau; † 16. Juni oder 17. Juni 1937 in der Sowjetunion) war ein deutsch-russischer Kommunist und Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).

Johannes Hoffmann (* 3. Juli 1867 in Ilbesheim bei Landau in der Pfalz; † 15. Dezember 1930 in Berlin) war ein Politiker der DVP und SPD und 1919/20 Bayerischer Ministerpräsident.

Tobias Akselrod (* Oktober 1887 in Moskau; † 10. März 1938 in Kommunarka) war ein russischer Revolutionär und 1919 Mitglied der Münchener Räteregierung.

Ernst Niekisch (* 23. Mai 1889 in Trebnitz; † 23. Mai 1967 in West-Berlin) war ein deutscher Politiker und politischer Schriftsteller.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

#31 Brief an Otto Thomas

Datierung 1919-07-22
Absendeort München, Deutschland
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief, 3 S., T (Abschrift)

Provenienz StA M, Bestand Polizeidirektion München
Briefkopf -
Poststelle -
Personen Thomas, Otto
Ludendorff, Erich
Leviné, Eugen
Levien, Max
Hoffmann, Johannes
Akselrod, Tobias
Hofer, ?
Gänßler, Max
Niekisch, Ernst
Thomas, Otto
Toller, Ernst
Institutionen Die Rote Fahne (Berlin)
Justizvollzugsanstalt München

Werter Genosse Thomas

Zum zweiten Mal lese ich in Ihrer neuen Zeitung einen Aufsatz, dessen hässliche, herabsetzende Tendenz soweit die Sätze mich betreffen, mir nicht gefühlsmässig wehe tun, denn was liegt daran. Nein, der Inhalt geht von sachlich völlig falschen Voraussetzungen aus – ich will annehmen unbewusst – und ist geeignet, das historische Bild der Ereignisse zu fälschen und das Urteil der Arbeiter zu verwirren. –

Kurz zum ersten Artikel! Der Verfasser hat der Verhandlung bestimmt nicht beigewohnt, sonst hätte er nicht behaupten können, ich habe den Kampf gegen die Konterrevolution vor Gericht, eine Pflicht für jeden, nicht aufgenommen. Ich bin gerne bereit, Ihnen die sämtlichen Belege zu schicken.

Die sog. psychologische Erklärung der Feigheit ist ein schlimmerer Giftpfeil als ein Hetzartikel der U. P.

Zu Ihrem zweiten Artikel. Persönlich: Es ist eine glatte Lüge, dass ich zum Rätegedanken und zur Weltrevolution eine „vorsichtige Stellung“ einnahm, also feige war. Ich habe klipp und klar erklärt, dass ich schon seit Ende November Anhänger der Räterepublik bin, dass ich anfänglich glaubte, im Nebeneinander vom parlamentarischen System und Rätesystem werde allmählich auf revolutionärem Wege der Rätegedanken siegen, dass ich aber später zu einer anderen Erkenntnis kam. Nämlich, dass sich Rätesystem und Parlamentarismus freie Grundbedingungen noch ausschliessen, dass man sich entweder für das eine oder andere entschliessen müsse und dass ich unbedingt Anhänger des Rätegedankens wurde. Meine Stellung zur Weltrevolution war ebenso klar. Sowohl in meiner ersten Rede als auch in meinem Schlusswort.

Haben Sie diese Dinge nicht gelesen oder haben Sie sie vergessen?

Es ist fernerhin eine Lüge, dass ich erklärte, ich habe die Führung der roten Garde nur deswegen übernommen, um das Gegenteil von dem zu tun, was man von mir als Führer erwartete. Tatsächlich habe ich oft ähnlich handeln müssen, aber es lag daran, dass sie Leute wie Hofer zu Kommandanten ernannt haben. Oder rechnen Sie zu diesen Erwartungen die Nichtausführung gewisser unsinniger Befehle, von denen ich im Hofbräuhaus gesprochen hatte und die mir der Untersuchungsrichter vorhielt? Dass ich die Lage für haltlos hielt, daraus habe ich den Münchner Stellen nie einen Hehl gemacht, für unverantwortbar, wenn nicht Verhandlungen eingeleitet werden. Denn um einer revolutionären Geste willen den Entscheidungskampf wagen – weil etwa „die Ehre des Proletariats in Frage stand“ oder „weil man nicht mit dem Todfeind verhandelt“ – für diese Anschauung habe ich allerdings nicht das Geringste übrig. Übrigens ist sie nicht originell und im wesentlichen nur eine Fortsetzung der militärischen Gedankengänge Ludendorffs auf anderer Ebene.

Gar der Gedanken, dass durch blutige Niederlagen die Reife des Proletariats beschleunigt wird (siehe in der roten Fahne Ende April) halte ich überhaupt nicht für diskutierbar. Es sei denn, dass man angehäuftes Ressentiment und revolutionären zielbewussten Willen als Gleichung setzt. – dass auch Sie das Märchen vom Fernhalten am Entscheidungskampf – übrigens hatte auch ich seit dem 29. April keine amtliche Beziehung zur Leitung der Räterepublik, ein Argument das ich aber als nicht in Betracht kommend von mir weise – weil ich amtliche Beziehungen zum Proletariat hatte, auftischen, ist gelinde gesagt, leichtfertig, denn in der Verhandlung hat sich an Hand der Tatsachen herausgestellt, dass ich, als ich mich am Morgen des 1. Mai in Sicherheit brachte, annehmen konnte (nachdem vorher auf meinen Antrag die Arbeiter zur Niederlegung der Waffen aufgefordert waren und ich wusste, dass die meisten sie von selbst niedergelegt hätten), dass es zu keinem Kampf mehr kommt. Ebenso wurde festgestellt, dass ich, sowie ich von Kämpfen hörte, den Versuch machte, zu den Arbeitern zu gelangen – Und schliesslich nicht aus „Gründen meiner Natur“ habe ich die Zustimmung zur Mitarbeit an der Räterepublik gegeben, sondern infolge der sachlichen Lage in Bayern, die mir [na]ch Niekischs – wie heute feststeht, unrichtigen – Mitteilungen in einem vorgeschrittenen Stadium erschien, dass mir als Folge einer Verweigerung faktische Zustände möglich schienen.

Das wissen Sie genauso wie ich, Genosse Thomas.

Unerklärlich nach Ihren Aufsätzen ist mir jetzt Ihre damalige Stellung.

Wie konnten Sie bei uns den Gedanken aufkommen lassen, dass Sie kein Gegner der Proklamation sind? Warum haben Sie nicht von vornherein Ihre Gegnerschaft eindeutig dargelegt?

Verzeihen Sie, ich kann hier nicht höflich sprechen: Schändlich ist, dass Sie behaupten, ich hätte Leviné und Axelrod als „schwarze Männer“ hingestellt und dadurch mich an den erlassenen Urteilen schuldig gemacht. Mir widerstrebt es in höchstem Maße, auf diese Anpöbelung überhaupt zu antworten, denn ich habe es bisher nicht für möglich gehalten, dass Sie das Niveau der M. P. erreichen können.

Es ist geradezu demagogisch, wenn Sie von dem Urteil gegen Leviné sprechen, das war bereits gefällt, als ich verhaftet wurde. Und meine erste Tat nach der Verhaftung war, dass ich – es handelte sich um die Stunden vor der Vollstreckung – den Staatsanwalt bat, nach Bamberg zu telegraphieren, dass Leviné [es] war, der die Rücknahme des Befehles der Erschiessung der Offiziere veranlasste. – Mein Protest an die Regierung Hoffmann anlässlich der Erschiessung dürfte Ihnen bekannt sein. Was ich im Axelrod Prozess aussagte, wird Ihr Berichterstatter stenographiert haben. Und nun zu meiner Haltung gegenüber Leviné, Levien und Axelrod in meinem Prozess.

Sachliche Gegensätze waren nicht zu verheimlichen, die waren bekannt. Aber ich habe nie, nie Herr Thomas, gegen jene Genossen einen persönlichen Vorwurf erhoben, habe stets betont, dass ich vor ihnen als Revolutionäre und Vertretern von Ideen die grösste Hochachtung besitze, habe mehr als einmal Aussagen wie die Hofers, L. u. L. hätten den Geiselmord gebilligt oder gar gewollt, als üble Verleumdung bezeichnet, habe alte, verallgemeinernde Angriffe gegen Kommunist[en] aufs schärfste zurückgewiesen.

(Selbst bürgerliche Blätter, wie die F. B. haben dies nicht übersehen)

(Bei dieser Gelegenheit – um offen zu sein; unverständlich war mir die Erklärung R. A. Gänßlers, Sie liessen bitten, von einer Zeugenaussage Abstand zu nehmen, da Sie nicht Günstiges aussagen könnten. Für mich war das Standgericht immer noch der gemeinsame Feind, vor dem Parteizwistigkeit und Anschauungsverschiedenheiten zu einem Nichts zerstieben)

Zur Klarstellung des objektiven Bildes. Es ist eine Legende, dass die K. P. sich an der Räterepublik erst beteiligt, um den bedrängten Proletariern zu Hilfe zu kommen. Diese Legende wird dadurch nicht wahrer, dass sie von Ihnen so häufig wiederholt wird. Am [unleserlich] April nachmittags erklärte Levien mir und einigen Genossen, auf der Basis unserer Forderungen sei eine Mitarbeit der K. P. möglich. – Leviné der an jenem Tag konsequent war, drang mit seiner Ansicht durch und nachts kam dann die Erklärung der K. P.

Aber auch Levinés Haltung war keine prinzipielle, denn am 9. rief er im Kindlkeller die revolutionären Obleute zusammen und setzte einen Beschluss auf Absetzung des Zentralrates durch. In der gleichen Stunde wurde ein neuer Zentralrat gewählt, an dessen Spitze Levien und Leviné standen. Die Umstände vor Zusammensetzung des neuen Zentralrates zeigten, dass der „Putsch“ nicht spontan kam, (übrigens war sogar der neue Zentralratsstempel bereits vorhanden). Dass der Generalstreik, der die Aktion befördern sollte, misslang, war nicht Schuld der K. P. – sondern der Münchner Arbeiterschaft.

Diese Feststellungen genügen wohl, zur Niederlegung der in ganz Deutschland verbreiteten Legende. –

Was ich Ihnen übrigens Persönliches schrieb, mag affektbetont sein, aber irgend einmal reisst einem die Geduld, wenn man sich von Kameraden verunglimpft sieht, ohne die Möglichkeit zu haben, sich zu wehren.

Denn wenn ich mich wehren wollte, müsste ich neben manchen anderen Feststellungen die ich zur Zeit des Standgerichts und der Herrschaft der Reaktion nicht machen will, die Bilanz der „zweiten“ Räterepublik ziehen, die wahrlich nicht die „Ehre des Rätegedankens“ offenbarte.

Offenheit gegen Offenheit Genosse Thomas.

Von Ihrer Wahrheitsliebe erwarte ich Berichtigungen sachlich persönlicher und allgemeiner Art.

Ich wünsche die Stunde herbei, wo wir uns vor dem Gericht der Proletarier aussprechen können.

Und zum Schluss ein paar Stimmungsworte – trotzdem ich in meiner Politik weniger Stimmungen unterliege als Sie anzunehmen scheinen, – ich schäme mich, dass gerade Sie den taktischen Gegner mit derartigen Waffen bekämpfen. Im Übrigen ist es ein Vergehen gegen die Revolution, wenn man im heutigen Stadium nichts anderes zu tun weiss, als einen Keil in das revolutionäre zielbewusste Proletariat aus Parteigründen zu treiben.

(Unterschrift) Ernst Toller

Stadelheim, 22. Juli 1919.