Weitere Briefe
1,665 Briefe gefunden

Gustav Landauer (geboren am 7. April 1870 in Karlsruhe; gestorben am 2. Mai 1919 in München-Stadelheim) war Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einer der wichtigsten Theoretiker und Aktivisten des Anarchismus in Deutschland. Nach Niederschlagung der Münchner Räterepublik wurde er von antirepublikanischen Freikorps-Soldaten in der Haft ermordet.

Ernst Toller (*1. Dezember 1893 in Samotschin, Provinz Posen; gestorben am 22. Mai 1939 in New York City, New York) war ein deutscher Schriftsteller, Politiker und linkssozialistischer Revolutionär.

Gustav Landauer (geboren am 7. April 1870 in Karlsruhe; gestorben am 2. Mai 1919 in München-Stadelheim) war Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einer der wichtigsten Theoretiker und Aktivisten des Anarchismus in Deutschland. Nach Niederschlagung der Münchner Räterepublik wurde er von antirepublikanischen Freikorps-Soldaten in der Haft ermordet.

#14 Brief an Gustav Landauer

Datierung 1917-12-20
Absendeort *Heidelberg
Verfasser Toller, Ernst
Beschreibung

Brief

Provenienz Original nicht ermittelt.
Briefkopf -
Publikationsort T: Brief an einen Menschen. AdK, Ernst-Toller-Sammlung, Nr. 41, 4 Bl. (Kopie)
D1: Brief an Gustav Landauer. (Anläßlich der Gründung des kulturpolitischen
Bundes der Jugend Deutschlands im Jahr 1917). In: Der Kampf. Südbairische
Tageszeitung der Unabhängigen Sozialdemokratie, Nr. 98 vom 29./30.5.
1920 (TW, Bd. 3, S. 112f.).
D2: Brief an Gustav Landauer. In: Schöpferische Konfession. Hrsg. von Kasimir
Edschmid. Berlin: Reiß 1920. (Tribüne der Kunst und Zeit, Bd. 13),
S. 41-46.
D3: Brief an Gustav Landauer. In: Der Freihafen. Blätter der Hamburger
Kammerspiele, 3 (1920), Nr. 1, S. 5-7.
D4: Aus einem Brief an Gustav Landauer. In: Der Morgen. Ein Almanach des
Verlages Carl Reißner in Dresden. Dresden: Reißner 1926, S. 149-150.
D5: Brief an Gustav Landauer. In: Vorwärts. Berlin, Nr. 11 vom 8.1.1926.

Zu den Abweichungen in den einzelnen Drucken vgl. TW, Bd. 4, S. 816–818.
Personen Landauer, Gustav
Toller, Ernst
Landauer, Gustav

20. Dezember 1917

Morgen früh verlasse ich Heidelberg. Wer weiß, ob mir die Rückkehr gestattet ist – und nun soll ich noch heute Abend zu Ihnen sprechen, damit Sie zu unserem Wollen unbedingtes Vertrauen haben, denn ohne das, wie könnte ich mich da wohl mit der Bitte um Mitarbeit an Sie wenden?

Aber wie soll ich es nur ausdrücken? Was ich tue, tue ich nicht aus Not allein, nicht aus Leid am häßlichen Alltagsgeschehen allein, nicht aus Empörung über politische und wirtschaftliche Ordnung allein, das alles sind Gründe, aber nicht die einzigen. Aus der – ich kann es heute sagen, denn ich empfinde sie als beglückend – lebendigen Fülle heraus kämpfe ich, ich bin kein religiöser Ekstatiker, der nur sich und Gott und nicht die Menschen sieht, ich bin kein Opportunist, der nur äußerliche Einrichtungen bekämpft, ich bemitleide jene Verkrüppelten, die letzthin an sich, nur an sich, ihrem kleinen persönlichen Mangel leiden, ich bemitleide jene Verkümmerten, die aus Freude an der „Bewegung“ abwechselnd futuristische Kabaretts und Revolution fordern.

Ich will das Lebendige durchdringen, in welcher Gestalt es sich auch immer zeigt, ich will es mit Liebe umpflügen, aber ich will auch das Erstarrte, wenn es sein muß, umstürzen, um des Geistes willen. Ich will, daß niemand Einsatz des Lebens fordert, wenn er nicht selbst von sich weiß, daß er sein Leben einzusetzen willens ist, daß er es einsetzen wird. Ich fordere von denen, die mit uns gehen, daß sie sich nicht damit begnügen, ihr Leben entweder seelisch oder geistig oder körperlich einzusetzen, sie sollen wissen, daß sie es seelisch, geistig und körperlich als Einheit einsetzen werden.

Ich will nicht, daß jemand auch unsere Erkenntnis annehmen kann und darum zu uns kommt. Zu einer Erkenntnis, wie ich sie verstehe, muß man durch Not, Leiden an seiner Fülle gekommen sein, muß geglaubt haben „entwurzelt“ zu sein, muß mit dem Leben gespielt und mit dem Tode getanzt, muß am Intellekt gelitten und ihn durch den Geist überwunden – muß mit dem Menschen gerungen haben.

Nicht Sekte gemeinsam Schöpferischer träume ich, das Schöpferische hat jeder als Eigenbesitz, das Schöpferische kann sich in seinem reinsten Ausdruck nur in der Arbeit des Einzelnen offenbaren – aber das Gefühl der Gemeinschaft ist beglückend und stärkend für jeden Schöpferischen.

Wenn wir „Zweckeinrichtungen“ schaffen, Widerstand bekämpfen, können und müssen wir gemeinsam vorgehen und werden Arbeit leisten, da wir aus gleicher Menschheitsgesinnung vorgehen.

In letzten seelischen Dingen müssen wir unsere Einsamkeit nicht tragisch, sondern freudig empfinden.

Was könnte ich Ihnen noch sagen? Daß ich glaube, wir müssen vor allen Dingen den Krieg, die Armut und den Staat bekämpfen, der letzthin nur die Gewalt und nicht das Recht (als Besitz) kennt, und an seine Stelle die Gemeinschaft setzen, wirtschaftlich gebunden durch den friedlichen Tausch von Arbeitsprodukten gegen gleichwertige andere, die Gemeinschaft freier Menschen, die durch den Geist besteht.

Daß ich also weiß, welche Inhalte ich bekämpfe, daß ich auch zu wissen glaube, welche neuen Inhalte da sein müssen, daß ich aber noch keine Klarheit besitze, welche äußeren Bindungen, welche Formen diese neuen Inhalte haben müssen.

In meinem Innersten spüre ich eine Ruhe, die ist und mir Freiheit gibt. Ich weiß, daß ich in größter Unruhe leben, daß ich gegen Schmutz oder beschränkten Unverstand hitzig und erregt ankämpfen kann und mir diese innerste Ruhe doch bleibt.